Jürgen Matern, Wikimedia Commons

Der Parlamentsroutinendreh

Von Sylvia Gabelmann, MdB DIE LINKE

Vier Monate nach der Wahl hat der Bundestag in der letzten Woche die parlamentarischen Fachausschüsse eingesetzt. Dies hatte die Regierung mit Verweis auf die laufenden Sondierungs- und Koalitionsverhandlungen bislang verhindert und lediglich einen Hauptausschuss eingesetzt. Eine grundgesetzgemäße Kontrolle des Regierungshandelns war somit nicht gegeben. Der Bundestag als solcher war schwach und zuletzt vor allem damit beschäftigt die deutschen Auslandseinsätze zu verlängern.

Am letzten Mittwoch stand die Abstimmung eines gemeinsamen Antrags der Fraktionen CDU/CSU, SPD, AfD, FDP, Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen[1] auf der Tagesordnung des Bundestagsplenums. Die Abgeordneten haben beschlossen, die 23 ständigen Ausschüsse, die in der letzten Wahlperiode gebildet worden waren, vorläufig einzusetzen. Die Ausschüsse werden auch „vorbereitende Beschlussorgane“ genannt, ein bedeutender Teil der parlamentarischen Arbeit wird dort geleistet. Hier werden in langwierigen Verfahren Gesetzesentwürfe vorbereitet, die dann im Bundestag debattiert und abgestimmt werden.

Endlich können nun beispielsweise der Haushaltsausschuss, der Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz oder der Gesundheitsausschuss ihre fachspezifische Arbeit aufnehmen. Inzwischen weiß ich, dass ich als ordentliches Mitglied im Gesundheitsausschuss arbeiten werde und als stellvertretendes Mitglied im Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft. Im Gesundheitsausschuss werde ich zuständig sein für Apotheken, Arzneimittel, Drogenpolitik, Alternative Heilmethoden, Geschlechtergesundheit, Psychische Gesundheit, Patientenrechte und Hebammen.

Auf die Einsetzung der Ausschüsse  haben wir lange gewartet: Bereits in der ersten Sitzungswoche hatte DIE LINKE einen Antrag auf Einsetzung wenigstens der vier im Grundgesetz vorgesehen Ausschüsse – nämlich Auswärtiges, Verteidigung, Angelegenheiten der Europäischen Union und Petition − in den Bundestag eingebracht. Diese sind erst vom Plenum an den Ältestenrat, von diesem dann an den Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung, also schließlich tot verwiesen worden.

Ähnlich erging es dem Antrag der Fraktion DIE LINKE für ein Sofortprogramm gegen den dramatischen Pflegenotstand in der Altenpflege (Drs. 19/79) [2]. Erst wurde er an den Hauptausschuss überwiesen, dann dort in nicht öffentlicher Ausschussberatung bereits dreimal vertagt. An welchem Plenartag er aufgesetzt wird, steht in den Sternen. Hier wird das Problem deutlich: wenn nur EIN provisorischer Hauptausschuss die Arbeit und das Tagesgeschäft des Parlaments erledigt und dieses Gremium nicht öffentlich tagt, bekommen wir ein massives Demokratie- und Repräsentanzproblem!

Mit Verweis auf die Regierungsbildung wurde die Arbeit der Bundestagsabgeordneten vier Monate lang ausgebremst. Die innere Organisation des Bundestags kann doch nicht an Sondierungs- und Koalitionsverhandlungen hängen! Um eine bessere Kontrolle des Regierungshandelns gewährleisten zu können, müssen die Abgeordnetenrechte gestärkt werden; dafür tritt DIE LINKE ein. Steht es einer „wehrhaften Demokratie“ an, dass eine Befragung der Bundeskanzlerin nur in der Bundespressekonferenz möglich ist? So unbekannt, langwierig und kritisierbar die mittwöchige Regierungsbefragung und die Fragestunde auch sind, sie bieten insbesondere den Oppositionsparteien die Möglichkeit, Themen anzusprechen, die der Regierung unangenehm sind, für die sie sich rechtfertigen muss − ein zentrales Element einer streitbaren Demokratie. Die Abgeordneten sollen vom Volk gewählte Vertreterinnen und Vertreter sein, sie müssen sich nicht nach einer Regierung richten, sondern umgekehrt!

Was hat also der Bundestag die letzten Monate gemacht? Alle „Parteien der Mitte“ haben sich für eine automatische Diätenerhöhung (gerne „Diätenanpassung“ genannt) ausgesprochen. Um alljährlichen öffentlichen Beratungen zu entgehen, ist dieses Verfahren in der letzten Legislaturperiode eingeführt worden. Seit 2013 hat sich das Gehalt der Abgeordneten von 8252 Euro auf 9542 Euro vor Steuern erhöht, während die Reallöhne des untersten Einkommenszehntels zwischen 1995 und 2015 sogar um 0,6 Prozent gesunken sind[3]. DIE LINKE, die immer gegen die Erhöhung votiert hat, spendet die Erhöhungen jährlich an soziale Institutionen und Projekte, wie SOS Kinderdörfer.

Ferner stimmte die Mehrheit der Abgeordneten gegen die Stimmen der LINKEN im Schnelldurchlauf für die Verlängerung einer ganzen Reihe von Auslandseinsätzen, an denen die deutsche Bundeswehr sich im Rahmen von EU-, NATO- und VN-Missionen beteiligt. Die Anträge kamen von der Bundesregierung. Eine tiefergehende Beratung und Behandlung dieser Militäreinsätze war auf Grund des Fehlens der entsprechenden Ausschüsse nicht möglich gewesen.

Die Oppositionsarbeit der LINKEN kann durch die Ausschussstruktur jetzt wieder inhaltlich stärker fundiert werden. Letztendlich aber werden unsere sozialen und friedenspolitischen Anträge und Anliegen weiterhin scheitern − insbesondere angesichts der Anstrengungen um die Bildung einer neuen Großen Koalition, die prozentual betrachtet eigentlich eher eine kleine Koalition ist. Wer sich dann die Rolle der SPD darin vor Augen führt, erinnert sich unwillkürlich an das Gedicht „Feldfrüchte“ von Kurt Tucholsky, der da schreibt:

Sinnend geh ich durch den Garten

unsrer deutschen Politik;

Suppenkohl in allen Arten

im Kompost der Republik.

Bonzen, Brillen, Gehberockte,

Parlamentsroutinendreh …

Ja, und hier –? Die ganz verbockte

liebe gute SPD.

Hermann Müller, Hilferlieschen

blühn so harmlos, doof und leis

wie bescheidene Radieschen:

außen rot und innen weiß.

Veröffentlicht in: Die Freiheitsliebe

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