Tageszeitung junge Welt interviewt MdB Sylvia Gabelmann

Quelle:  Tageszeitung junge Welt, Interview von Gitta Düperthal

»Es geht nicht nur um klassische Erwerbsarbeit«

Bundesweit Protestaktionen zum Internationalen Frauentag. Ein Gespräch mit Judith Amler und Sylvia Gabelmann

Judith Amler ist für ATTAC aktiv; Sylvia Gabelmann (Die Linke) ist Bundestagsabgeordnete und Mitglied der »Linken sozialistischen Arbeitsgemeinschaft Frauen« (LISA)

Judith Amler, an welchen Aktionen zum Internationalen Frauentag waren Sie beteiligt?

ATTAC-Aktivistinnen sind im Bankenviertel von Frankfurt am Main gegen das unsäglichste Phallussymbol, das ich dort kenne, mit einer überdimensionalen Schere vorgegangen. An der Skulptur vor der DZ-Bank, »Inverted Collar and Tie« (Kragen und Krawatte, auf den Kopf gestellt, jW), haben wir ein lila Transparent befestigt mit der Losung: »Patriarchat und Ausbeutung? Ohne uns!«

Die Figur mit hochgerecktem Schlips steht für männliche Dominanz im von uns scharf kritisierten globalen Kapitalismus. Wir wollten darauf aufmerksam machen, wie diese Wirtschaftsform und die weltweite Unterdrückung von Frauen miteinander einhergehen. Ein Banker wollte wissen, weshalb wir ausgerechnet hier protestieren. Als wir auf die Figur deuteten, musste er zugeben, dass wir hier genau an der richtigen Stelle waren.

Sylvia Gabelmann, was hat Sie an diesem 8. März beeindruckt?

Die Frauenbewegung ist im Aufwind. Von Argentinien bis Südkorea lassen sich Frauen nicht mehr davon abbringen, für ihre Rechte zu kämpfen. Sie vernetzen sich international. In der Bundesrepublik hatte der Internationale Frauentag kaum mehr politische Bedeutung: Frauenfrühstück und Blumen verteilen, das war›s.

25.000 Menschen waren in Berlin auf zwei Demonstrationen, 10.000 in Hamburg, mehr als 4.000 in Leipzig, 3.000 in Köln, 2.500 in München, sowie 2.000 jeweils in Freiburg und in Kiel. Selbst in Karlsruhe waren 600 Frauen auf der Straße, in Jena 500. Der selbstbewusste Feminismus beginnt in Großstädten und dehnt sich auf Kleinstädte sowie ländliche Gegenden aus. Die Bewegung wird nicht nur von Studentinnen und Akademikerinnen getragen, und zu 80 Prozent beteiligen sich sehr junge Frauen.

Kulturschaffende, die teilweise sehr prekär arbeiten, sind aktiv. Genau wie wir vor 40 Jahren sind die jungen Frauen heutzutage wütend, dass der Strafrechtsparagraph 218 sie in ihrer körperlichen Selbstbestimmung behindert. Sie tragen die Solidaritätskampagne für die Ärztin Kristina Hänel mit, die wegen Informationen über Abtreibung auf ihrer Webseite verurteilt wurde. Es ist erfrischend, wie engagiert sie ihre Rechte fordern; anders als wir, die mitunter von einer Elterngeneration im Faschismus und geprägt von der Adenauer-Zeit, eingeschüchtert waren.

Welches Ausmaß hatte der Protest in Frankfurt?

J. A.: Viele junge Frauen waren bei der Demo in der Bankenmetropole, die mit 3.500 Teilnehmerinnen entschlossen voranging. Der Kampf für Frauenrechte ist ernst gemeint. Wir gingen auf die Zeil, obgleich es nicht geplant war, und legten eine Kreuzung lahm. Dort spannten Frauen eine Wäscheleine, um daran Postkarten aufzuhängen, auf denen Demonstrantinnen ihre Anliegen schilderten sowie Gründe aufzählten, weshalb sie am 8. März streiken.

Es ging auch um Kritik daran, dass die hauptsächlich unbezahlt von Frauen geleistete Care-Arbeit, etwa das Versorgen von Angehörigen, in unserer Gesellschaft ausgeblendet wird. Thema war zudem die mies bezahlte Arbeit in Pflegeberufen, unter der ebenso meist Frauen zu leiden haben.

Was zeichnet modernen Feminismus aus?

S. G.: Es geht nicht nur um klassische Erwerbsarbeit. Frauen merken, wie ihr Leben durch Kürzungen im Sozial-, Bildungs- und Gesundheitsetat eingeschränkt wird. Deshalb besetzten sie am Freitag um fünf vor 12 öffentliche Plätze mit Stühlen.

Durch das Erstarken von Rechten im gesellschaftlichen Diskurs und in Parteien werden alte reaktionäre Rollenbilder wieder etabliert, und Frauen sollen in die Reproduktion zurückgedrängt werden. Die Klassenfrage ist wieder aktuell. Die Debatte über den Gegensatz zwischen Profitmaximierung und dem Wohlbefinden der Menschen sowie zu den Differenzen zwischen der sozialistischen und der bürgerlichen Frauenbewegung ist eröffnet.

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Ärzte ohne Grenzen : Ärzte ohne Grenzen ist die am 21. Dezember 1971 gegründete größte unabhängige Organisation für medizinische Nothilfe. Die private Hilfsorganisation leistet medizinische Nothilfe in Krisen- und Kriegsgebieten. https://www.aerzte-ohne-grenzen.de
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