Apothekenreform: Max Müller sprach mit Kanzleramtschef Helge Braun

Quelle: DAZ.online, von: Benjamin Rohrer, Chefredakteur

Am 11. Dezember 2018 stellte Jens Spahn in der ABDA-Mitgliederversammlung einen Plan vor, der die Apotheker erschütterte: Nach dem EuGH-Urteil von 2016 wollte er die Rx-Preisbindung teils aufheben und Rx-Boni gedeckelt zulassen. Wie die Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Linksfraktion nun zeigt, haben auch die EU-Versender in der entscheidenden Entwurfsphase Gespräche mit der Bundesregierung geführt. DocMorris-Vorstand Max Müller sprach mit Kanzleramtschef Helge Braun und der EU-Versender-Verband EAMSP, dessen Chef Müller ist, sprach mit Spahn. Rein quantitativ fanden aber mehr Gespräche mit Apothekern statt.

Viele Apotheker in Deutschland werden den 11. Dezember des vergangenen Jahres wohl nicht so schnell vergessen. Die „Tagesschau“, ZDF „heute“ und andere Nachrichtensendungen zeigten an diesem Abend einen recht geknickten ABDA-Präsidenten Friedemann Schmidt, der neben Bundesgesundheitsminister Jens Spahn stand. Schmidt wirkte gefasst, in ihm dürfte es aber gebrodelt haben. Denn zuvor hatte Spahn den Apothekern in der Mitgliederversammlung ein Regelungspaket vorgestellt, das den Apothekenmarkt nachhaltig verändern hätte können: In seinem ersten Entwurfspapier zur Apothekenreform wollte er Rx-Boni gedeckelt bei 2,50 Euro zulassen. Der Marktanteil der EU-Versender sollte demnach eine gewisse Marke nicht übersteigen und regelmäßig kontrolliert werden.

Spahn sprach mit dem EAMSP, Braun mit Müller

In den Wochen zuvor hatte Spahn die Verkündung seines Planes mehrfach verschoben – auf den Deutschen Apothekertag (DAT) 2018 brachte ihn nicht – wie vorher angekündigt – mit, sondern erklärte, dass er mit den Apothekern diskutieren wolle, um eine Lösung des Versandhandelskonfliktes zu finden. Ein Interview mit der Deutschen Apotheker Zeitung (DAZ und DAZ.online) sagte er damals kurzfristig ab. Die Antworten der Bundesregierung auf eine Anfrage der Linksfraktion, die DAZ.online exklusiv vorliegen, zeigen nun, dass Spahn, aber auch andere Regierungsmitglieder, in dieser wichtigen Zeit sehr wohl mit den Apothekern sprachen – allerdings auch zwei Mal mit den EU-Versendern.

Hier der chronologische Ablauf: Das erste Treffen zum Thema Apothekenmarkt nach Spahns Amtsantritt fand am 24. April 2018 mit der ABDA statt. Präsident Schmidt und Fritz Becker trafen sich im BMG mit dem damals frisch ernannten Minister. Nur ein paar Tage später traf sich Spahn mit Gabriele Regina Overwiening, Kammerpräsidentin in Westfalen-Lippe. Beide kennen sich schon lange, weil Spahns Wahlkreis in der Nähe von Overwienings Apotheken liegt. Im Mai 2018 traf sich dann noch Andreas Hott, Chef des rheinland-pfälzischen Apothekerverbandes, mit BMG-Staatssekretär Thomas Gebhart (CDU).* Beide kennen sich ebenfalls aus dem Wahlkreis.

Am 19. Juni des vergangenen Jahres erschien dann Max Müller im Bundeskanzleramt. Müller ist Vorstandsmitglied beim niederländischen Versandkonzern DocMorris und hat exzellente Beziehungen bis in die höchsten Ebenen der Bundespolitik. Worüber er mit dem Kanzleramtschef sprach, ist natürlich nicht öffentlich. Doch das war nicht das einzige Gespräch der EU-Versender mit der Bundesregierung. Am 24. August, also knapp drei Monate vor Spahns Besuch in der ABDA-MV, erschienen „Vertreter der European Association of Mail Service Pharmacies“ (Kurz: EAMSP) im BMG bei Minister Spahn. Seit Dezember 2017 ist Max Müller Chef des EU-Versender-Verbandes. Ob Müller persönlich im BMG erschien und mit Spahn sprach, geht aus den Papieren nicht hervor. Es ist aber nicht auszuschließen, dass Spahn und Müller, die vor einiger Zeit gemeinsam eine PR-Firma betrieben, an diesem Tag über die Apothekenreform sprachen.

Insgesamt 24 Gespräche zur Apothekenreform, 18 davon mit Apothekern

Vor dem Spahn-Auftritt in der ABDA-MV hatten dann auch noch Vertreter des Bundesverbands Deutscher Versandapotheker (BVDVA) die Möglichkeit, bei der Staatssekretärin Claudia Dörr-Voß im Bundeswirtschaftsministerium vorzusprechen. In den Wochen vor dem 11. Dezember 2018 gab es dann aber nochmals einige Treffen bzw. Unterhaltungen mit der ABDA: Schmidt und Becker trafen Spahn zwei Mal, Nordrheins Verbandschef Thomas Preis traf die BMG-Staatssekretärin Sabine Weiss und ABDA-Vertreter waren ebenfalls noch zu einem Termin im BMWi.

Durchsetzen konnte sich Spahn mit seinem Vorschlag, Rx-Boni gedeckelt zuzulassen, dann aber nicht. Insbesondere aus seiner eigenen Fraktion gab es im Winter 2018/2019 heftige Kritik. Spahn wandelte den Rx-Boni-Deckel daraufhin in ein Rx-Boni-Verbot um, das derzeit noch in Abstimmung ist. Übrigens: Nach Informationen von DAZ.online soll sich unter anderem auch das Kanzleramt von Bundesminister Helge Braun während der Ressortabstimmung gegen das Rx-Boni-Verbot stark gemacht haben.

Apotheker sprachen auch mit Dorothee Bär (CSU)

Aber auch die Apotheker blieben in den vergangenen Monaten am Ball: Von Anfang 2019 bis zum 1. Juli dieses Jahres fanden insgesamt acht Gespräche zwischen ABDA-Vertretern und Vertretern der Bundesregierung statt, darunter neben Spahn auch die Staatsministerin für Digitales Dorothee Bär (CSU). Bär und Kanzleramtschef Braun trafen sich im März zudem mit Vertretern des Bundesverbandes E-Commerce und Versandhandel, um über die Apothekenreform zu sprechen. Gespräche zwischen den EU-Versendern und der Bundesregierung zum Apotheken-Stärkungsgesetz hat es bis zum 1. Juli dieses Jahres nicht mehr gegeben.

Insgesamt fanden zwischen Regierungsvertretern (nur Leitungsebene) und Lobby-Organisationen aus dem Apothekenmarkt sowie Unternehmen und anderen Institutionen seit dem Frühjahr 2018 24 Gespräche statt. Den Großteil dieser Gespräche führten die Apotheker oder Apotheker-nahe Organisationen (Noweda und Adexa) mit der Regierung, nämlich 18.

Gabelmann: Der Eiertanz ist schief gegangen

Die Linken-Bundestagsabegordnete Sylvia Gabelmann ist selbst Apothekerin und in ihrer Fraktion für alle Fragen rund um die Arzneimittelversorgung zuständig. Sie meint: Spahn hätte vielleicht noch ein Treffen mit EU-Rechtlern anberaumen sollen. Gabelmann wörtlich:

Vielleicht hätte sich das BMG weniger mit Interessensvertretern und mehr mit EU-Rechtlern treffen sollen. Und das Bundeskanzleramt weniger mit Lobbyisten des Versandhandels und mehr mit Menschen, die etwas von pharmazeutischer Betreuung verstehen. So oder so: Dass der Eiertanz zwischen den gewünschten marktliberalen Reformen und Klientelpolitik trotz aller Lobbykontakte schief gegangen ist, finde ich eher erfreulich. Der Kompromiss im Apothekengesetz war mehr als faul. Stattdessen brauchen wir nun eine saubere und tragfähige Lösung. Und die kann für mich nur aus dem Verbot des RX-Versandhandels bestehen.“

Sylvia Gabelmann (Linke)

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* Hinweis der Redaktion: Aus dem BMG-Dokument geht hervor, dass sich Hessens Kammerpräsidentin Ursula Funke im Mai 2018 mit Kanzleramtschef Helge Braun traf – also noch vor Spahns Termin in der ABDA-Mitgliederversammlung. Funke selbst widerspricht dieser Darstellung. Gegenüber DAZ.online erklärte sie, dass im Mai 2018 kein solches Gespräch stattgefunden habe. Vielmehr habe sie erst ein Jahr später, also im Mai 2019, mit Braun telefoniert.

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