von: Sylvia Gabelmann und Franziska Lindner
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) ist vor über 70 Jahren entstanden. Sie sollte das leitende und zentrale koordinierende Organ bei der Gestaltung der globalen Gesundheitspolitik und bei der Durchsetzung des Menschenrechts auf Gesundheit sein. Doch ist sie in den letzten Jahrzehnten zunehmend in die Abhängigkeit privater Geber geraten, während die Mitgliedstaaten, allen voran die USA, ihre Beiträge aufgrund neoliberaler Kürzungspolitiken immer weiter zusammengestrichen haben.
Im Angesicht der Corona-Pandemie hat US-Präsident Donald Trump am 15. April 2020 die Beitragszahlungen an die WHO gestoppt. Seine Begründung: die WHO sei zu „chinafreundlich“ und habe folgenschwere Fehler in der Pandemiebekämpfung gemacht, so hätte sie frühzeitig Reisebeschränkungen gegen China und andere Länder aussprechen müssen. Sie sei daher für die Vielzahl von COVID-19 Toten mitverantwortlich.
Seinen Vorwürfen ist zunächst zu entgegnen, dass die WHO naturgemäß mit allen ihren Mitgliedsstaaten eng zusammenarbeitet. Ihre Aufgabe ist es insbesondere in globalen Krisen die Koordination höchst unterschiedlicher Gesundheitssysteme vorzunehmen und gemeinsame Strategien zu entwickeln. Da die Corona-Epidemie in der Volksrepublik China ausbrach, war die WHO auf Zahlen und Informationen zur Erkrankung COVID-19 von dort ebenso angewiesen wie auf die enge Zusammenarbeit mit der chinesischen Regierung und regionalen sowie lokalen Behörden. Während anfangs viel Unklarheit und Undurchsichtigkeit herrschte, ließ China im Februar WHO-Teams ins Land, die sich einen Eindruck vor Ort machten. Im selben Monat noch lobte Trump die Volksrepublik für ihren Umgang mit dem Coronavirus.
Die WHO unterließ einen generellen Erlass von Reisebeschränkungen, da Abschottungsmaßnahmen dieser Art bei Epidemien stets umstritten sind. Hier muss der Nutzen für die Gesundheit sehr genau mit den ökonomischen und sozialen Risiken abgewogen werden. In der Regel wirken derlei Maßnahmen bei der Ausbreitung von Epidemien zwar zeitsparend, häufig aber nur wenige Tage, da bereits Infizierte das Epizentrum schon vor der Verhängung verlassen hatten. Das Gros der westlichen Staaten hat sich dagegen sehr langsam auf COVID-19-Ausbrüche vorbereitet, viel Zeit verging bis Maßnahmen wie das Verbot von Großveranstaltungen und Feierlichkeiten oder Beschränkungen des (Massen-) Tourismus erfolgten.
Die Vorwürfe Trumps an die WHO sind abgeschmackt und sollen vom eigenen Versagen in der Epidemie-Bekämpfung und vom desaströsen Zustand des US-amerikanischen Gesundheitssystems, welches schon im Normalbetrieb nicht alle Notfälle aufnehmen kann, ablenken. Durch dessen weitgehende Privatisierung und hohe Versicherungsprämien ist es das pro Kopf teuerste Gesundheitssystem der Welt, obwohl die Krankheiten von Millionen Menschen dort nicht einmal behandelt werden. Die USA haben die höchste Kindersterblichkeit und durchschnittlich niedrigste Lebenserwartung unter allen industrialisierten Staaten zuzüglich Kuba. Den Trend der Kommerzialisierung des Gesundheitssystems verfolgten ebenso die anderen westlichen Staaten oder wurden im Zuge neoliberaler Kürzungsprogramme zum Schuldenabbau zusätzlich dazu gezwungen. Die dramatischen Folgen zeigen sich aktuell in Großbritannien, Italien oder Spanien.
Die WHO ist ebenso Teil der Privatisierung öffentlicher Gesundheit – mit global verheerenden Folgen. Am WHO-Gesamtbudget machen die staatlichen Pflichtbeiträge nur noch 20 Prozent aus und werden hauptsächlich zur Finanzierung ihrer weltweit bestehende Administration verwendet. 80 Prozent sind freiwillig erbrachte Beiträge, die meist einem bestimmten, von den Gebern festgelegten Projekt zugeordnet sind. Damit haben private Geber erheblichen Einfluss auf die Prioritätensetzung bei Gesundheitsprojekten, die nicht in erster Linie am Bedarf orientiert ist. Der größte private Geber ist die Bill & Melinda Gates Foundation. Diese bezieht ihr milliardenschweres Stiftungskapital aus Beteiligungen an Großkonzernen, die mitnichten für humanitäre Unternehmenspraxen bekannt sind; darunter Coca Cola, Monsanto, Bayer, BASF, BP, Exxon Mobile, Shell, McDonald’s oder Walmart.
Die vom Microsoft-Gründer aufgebaute Gates Stiftung vergibt zweckbezogene Fördergelder, die in Kooperationen mit der Privatwirtschaft in öffentlich-privaten Partnerschaften (Public-Private Partnerships – PPPs) eingesetzt werden. Da sie dabei auf kurzfristige Ergebnisse konzentriert ist, investiert sie vor allem in technische Maßnahmen, so in Impfkampagnen und Medikamentenverteilung gegen Infektionskrankheiten wie Malaria, Tuberkulose und HIV. Investitionen in den langfristigen Aufbau öffentlicher Gesundheitssysteme werden vernachlässigt. Dieser auf spezifische Erkrankungen fokussierte Ansatz ignoriert die sozialen, wirtschaftlichen und politischen Einflussfaktoren von Krankheiten. Ohne die Verbesserung von Lebensumständen, zu denen Armut, soziale Ungleichheit, aber auch Krieg und Umweltzerstörung gehören, können sich Gesundheitszustände nicht nachhaltig ändern.
Belastbare öffentliche Gesundheitssysteme sind die beste Vorbereitung auf Pandemien. Die WHO selbst kritisierte vor wenigen Tagen, dass es an einem nachhaltigen, langfristigen und zielgerichteten Finanzierungsmechanismus mangele. Sie sei weder mit ausreichenden Mitteln noch Befugnissen ausgestattet, um ein effektives und funktionierendes System zur Vorbereitung und Reaktion auf Pandemien sicherstellen zu können. Obwohl die Pandemiegefahr allgemein bekannt war, – im September 2019 hatte die UN-Generalversammlung zuletzt vor einer Pandemie gewarnt – stellten die Geber keine ausreichenden Mittel für die Pandemievorsorge bereit.
Dafür sichern sie den Absatz von Pharmakonzernen mit monopolartiger Stellung. Beispielsweise finanziert die Gates Stiftung zu 20 Prozent die Globale Allianz für Impfstoffe (GAVI), zu deren großzügigen Unterstützern auch die deutsche Bundesregierung gehört. Die Organisation unterstützt die Forschung und Entwicklung von Impfstoffen und fördert Impfprogramme in armen Ländern. Im Aufsichtsrat sitzen Mitglieder großer Pharmaunternehmen wie Pfizer und Sanofi. Diesen Unternehmen wiederum kauft GAVI Impfstoffe ab. GAVI selbst ist einer der größten freiwilligen Geber der WHO, an die sie projektbezogen Gelder für Impfkampagnen vergibt.
Im globalen privaten Gesundheitsbereich existieren eine Reihe weiterer vielschichtiger Verflechtungen, deren tiefergehende Darstellung an dieser Stelle den Rahmen sprengt. Im Ergebnis kann die WHO ihren öffentlichen Auftrag nicht erfüllen, da ihr die staatlichen ungebundenen Mittel fehlen. Diese fielen nicht zuletzt den neoliberalen Privatisierungspolitiken westlicher Staaten unter der Führung der USA zum Opfer. Die Verantwortlichkeit beim Versagen im Umgang mit der globalen COVID-19-Pandemie tragen daher eben jene.