»Auf freiwillige Spenden angewiesen«

Linksfraktion will unabhängigere WHO. Höhere Pflichtbeiträge für Mitgliedsstaaten vorgeschlagen. Ein Gespräch mit Sylvia Gabelmann

Sylvia Gabelmann (Die Linke) ist Mitglied im Unterausschuss für globale Gesundheit im Bundestag

Die 73. Versammlung der Weltgesundheitsorganisation hat vergangene Woche getagt. Die WHO wird kritisiert, von Lobbyisten der gewinnorientierten Pharmaindustrie durchsetzt zu sein. Warum will Die Linke sie dennoch stärken?

Ich sehe die WHO eher als Opfer dieser Machenschaften. Die Sonderorganisation der Vereinten Nationen mit Sitz in Genf leidet darunter, nicht unabhängig entscheiden zu können. Nur 20 Prozent ihres Budgets bestehen aus Pflichtbeiträgen ihrer 194 Mitgliedstaaten. Deren Höhe, vom Wohlstand der Staaten abhängig, ist seit 1993 nicht gestiegen. 80 Prozent werden von privaten Stiftungen gespendet, etwa der Gates-Stiftung, von Pharmaunternehmen oder Mitgliedstaaten – und zwar zweckgebunden. Die bestimmen also, welche Forschung die WHO fördert, welche medizinischen Maßnahmen sie ergreift und in welchem Land. Wie soll die WHO so das selbsterklärte Ziel ihrer mehr als 70 Jahre alten Verfassung umsetzen, allen Völkern zum Erreichen des bestmöglichen Gesundheitszustands zu verhelfen? Als ich das bei der Weltgesundheitsversammlung in Genf 2019 ansprach, gab es keinen Widerspruch.

Wie könnte die WHO unabhängiger werden?

Sie könnte die Beiträge der Mitgliedstaaten erhöhen und ihre Statuten verändern, um freiwillige Spenden zweckungebunden verwenden zu können. Zudem könnte sie klare Vorgaben zur Freigabe von Lizenzen und Patenten auf Impfstoffe und Medikamente machen. Im Zusammenhang mit Corona werden Probleme offenbar, die es seit Jahren gibt. Die WHO ist auf freiwillige Spenden angewiesen, sowohl auf die reicher Staaten als auch von Bill Gates. Die Frage ist: Wie kommen wir aus der obszönen Situation heraus, dass wenige Superreiche in der Lage sind, diese wichtige Institution derart zu dominieren? Wie konnten die Gesellschaften es zulassen, dass Privatpersonen über Eigentum verfügen, das die Bruttonationalprodukte ganzer Länder übersteigt? Die WHO-Verfassung besagt, dass im 21. Jahrhundert ein Gesundheitszustand erreicht werden soll, der es allen Menschen ermöglicht, ein sozial und wirtschaftlich produktives Leben zu führen. Solange aber die Superreichen und einzelne Staaten wirtschaftlichen Eigeninteressen nachgehen, kann das nicht funktionieren. Nur mit Reichtumsbegrenzung ist deren Einfluss zu minimieren.

Wird die Lage der WHO in Coronazeiten prekärer?

US-Präsident Donald Trump hat die Zahlungen an die Organisation ganz eingestellt. Um von seinem eigenen Versagen bei der Bekämpfung der Pandemie abzulenken, verknüpfte er dies mit Kritik an China. Dass der WHO-Chef Tedros Adhanom Ghebreyesus eine Untersuchung zur Informationspolitik Chinas gegenüber der UN-Organisation ankündigte, finde ich aber nachvollziehbar. Die chinesische Regierung kann dies nutzen, um Zweifel auszuräumen. Bei all dem geht es weniger um Corona als um einen weltweiten wirtschaftlichen und politischen Machtkampf. Vor allem die USA kämpfen um ihre frühere Vormachtstellung, die durch den wirtschaftlichen Aufstieg Chinas bedroht ist.

Welche Positionen vertreten die Bundestagsfraktionen zur WHO?

Die Bundesregierung hat die 50seitige Broschüre »Globale Gesundheitspolitik gestalten – gemeinsam handeln – Verantwortung wahrnehmen« herausgegeben. Liest sich schön. Aber statt armen Menschen Zugang zum Gesundheitssystem zu ermöglichen, legt sie es auf dessen industrielle Erschließung durch Konzerne in Deutschland an. Die FDP hätte am liebsten noch mehr Einfluss reicher Privatiers. Die Grünen sind auf Umweltfragen fokussiert, was aber ebenso wichtig für die Gesundheitspolitik sein kann. Die Linke hat in einer kleinen Anfrage an die Regierung verdeutlicht, dass die WHO mit mehr als 250.000 Toten pro Jahr als Folge der Klimakatastrophe rechnet.

Was also tun?

Krankenhäuser müssen rekommunalisiert werden. Forschung für Medikamente sowie deren Produktion müssen vergesellschaftet werden. Wir müssen die Verteilungsfragen lösen und dafür Kämpfe verschiedener sozialer Bewegungen zusammenführen, sonst bleibt die WHO machtlos. 


Interview: Gitta Düperthal

Quelle: Tageszeitung junge Welt Ausgabe vom 25.05.2020, Seite 2 / Inland

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