Regierung sieht Gefahren bei Arzneiproduktion

Quelle: Tagesspiegel-Background, von Rainer Woratschka

Rückstände im Trinkwasser, Gesundheitsgefahren für Anwohner und Beschäftigte: Die Bundesregierung räumt ein, dass die
Herstellungsbedingungen von wichtigen Arzneimitteln für Deutschland in Fernost teilweise hochproblematisch sind. Und die Linkspartei nennt es unerträglich, dass trotz dieses Wissens nicht gehandelt werde.

Die Bundesregierung hat eingeräumt, dass die Herstellungsbedingungen von wichtigen Arzneimitteln für Deutschland in asiatischen Ländern teilweise hochproblematisch sind. Der Regierung sei „bekannt, dass in der Volksrepublik in China und in Indien Rückstände der Pharmaproduktion, insbesondere Antibiotika, mit den Abwässern in das Ab-, Grund- und Trinkwasser gelangen“, heißt es in der Antwort auf eine Kleine Anfrage der Linksfraktion im Bundestag, die dem Tagesspiegel Background vorliegt. Und es sei auch „nicht auszuschließen, dass die Bevölkerung in der Nähe pharmazeutischer Produktionsstätten aufgrund der nicht ausreichend gefilterten Einleitung von mit Arzneimittelrückständen belasteten Abwässern von Pharmafabriken Gefahren ausgesetzt ist“.

Gesundheitsstaatssekretär Thomas Gebhart verwies zwar auf regelmäßige Qualitäts-Überwachung durch Inspektionen vor Ort, die „grundsätzlich Voraussetzung für den Import von Arzneimitteln aus Drittstaaten“ seien. Umweltschutzaspekte allerdings würden durch die EU-Vorschriften zur „Guten Herstellungspraxis“ (https://www.bundesgesundheitsministerium.de/service/gesetzeund-verordnungen/bekanntmachungen.html#c3448) (Good Manufacturing Practice, GMP) nicht abgedeckt. Eine Überprüfung, ob bei der Arzneiproduktion auch entsprechende Umweltvorschriften eingehalten werden, obliege den zuständigen örtlichen Behörden.

Angst vor Resistenzen

Die Sprecherin für Arzneimittelpolitik in der Linksfraktion, Sylvia Gabelmann, warf der Bundesregierung vor, sich nicht für die Einhaltung von Sozial- und Umweltstandards in den arzneiproduzierenden Ländern zu interessieren. Die Verstöße gegen GMP-Vorschriften und Umweltauflagen nähmen zu, doch für die Bundesregierung sei das „kein Grund zum Handeln“, sagte sie dem Tagesspiegel Background. „Ich finde das nicht erträglich.“ So sei das Thema bei den letzten Deutsch-Indischen Regierungskonsultationen im November 2019 nicht einmal angesprochen worden.

Tatsächlich zeigen sich Experten zunehmend beunruhigt über die Herstellungsbedingungen wichtiger Arzneimittel in Ländern wie China, Indien oder Pakistan – insbesondere mit Blick auf drohende Resistenzen bei Antibiotika (https://background.tagesspiegel.de/gesundheit/antibiotikaresistenzen-stehen-hinten-an). Dazu gehört auch der Präsident der Bundesärztekammer, Klaus Reinhardt. In Ländern wie Indien finde die Arzneimittel-Produktion unter „zum Teil skandalösen Bedingungen“ statt, sagte der Ärztepräsident erst vor kurzem im Interview mit dem Tagesspiegel Background (https://background.tagesspiegel.de/gesundheit/die-lieferengpaesse-beunruhigen-mich-sehr). „Es gibt Regionen um die Werke herum, die total verseucht sind mit multiresistenten Keimen, gegen die wir nichts mehr ausrichten können. Die werden irgendwann durch Reisende auch zu uns gelangen.“ Und das, so Reinhardt, „könnte uns dann noch vor weit größere Probleme stellen als das Coronavirus“.

Tiefststand bei Kontrollen, Höchststand bei Rückrufen

Bei der Frage nach der Zahl der Prüfungen vor Ort verweist die Bundesregierung lediglich auf die Jahresberichte der Länder für die Arzneimittelüberwachung. (https://www.zlg.de/arzneimi_el/deutschland/jahresberichte/) Offenbar, um das traurige Ergebnis nicht selber verkünden zu müssen: Aus diesen Berichten lässt sich nämlich herauslesen, dass sich die Zahl der Drittland-Inspektionen seit 2014 kontinuierlich verringert und im letzten reportierten Jahr 2018 ihren absoluten Tiefststand erreicht hat. Sie sank in diesen fünf Jahren von 264 auf nur noch 177 Kontrollen pro Jahr. Dabei entfielen 27 Kontrollen, also etwas mehr als 15 Prozent, auf Wirkstoffe. Gleichzeitig erreichte die Zahl der Arzneimittel-Rückrufe im zuletzt untersuchten Jahr 2018 mit 188 einen neuen Rekord. Im Jahr davor waren es lediglich 127, im Jahr 2016 nur 105.

Dazu kommt jetzt noch die alles verschlimmernde Coronakrise. „Seit Beginn der Covid-19-Pandemie ist die Durchführung von Inspektionen stark eingeschränkt“, räumte der Staatssekretär ein. Insofern könnten derzeit auch Auswirkungen des neuen Gesetzes für mehr Sicherheit in der Arzneimittelversorgung (https://www.bundesgesundheitsministerium.de/gsav.html)auf das Prüfverhalten der Aufsichtsbehörden nicht bewertet werden. Zu deutsch: Die Kontrollen haben durch die Pandemie weiter abgenommen, und Genaues weiß man nicht. Das Gesetz war im Sommer 2019 eigens beschlossen worden, um zusätzliche und schärfere Kontrollen durch deutsche und europäische Aufsichtsbehörden zu ermöglichen – unter anderem als Reaktion auf die Skandale um den brandenburgischen Krebsarznei-Importeur Lunapharm (https://www.tagesspiegel.de/berlin/krebsmittel-skandal-in-brandenburg-staatsanwaltschaft-erhebt-anklage-gegen-lunapharm-geschaeftsfuehrerin/25145318.html) und die Verunreinigung des weit verbreiteten blutdrucksenkenden Wirkstoffs Valsartan (https://www.tagesspiegel.de/politik/blutdruckmittel-valsartan-was-ueber-diemedikamentenverunreinigung-bekannt-ist/22826352.html) bei einem chinesischen Zulieferer.

Nur angemeldete Kontrollen

Zudem müssen Inspektionen in Drittstaaten wie Indien und China nach Regierungsangaben „grundsätzlich angemeldet“ werden – und zwar, wie der Staatssekretär schreibt, „aus organisatorischen und logistischen Gründen“. Die Hersteller können sich also entsprechend auf den Besuch der Kontrolleure vorbereiten. Der Bundesregierung lägen aber „keine Hinweise vor, dass die Einhaltung deutscher und europäischer Vorschriften nicht wirksam überwacht wird“, so Gebhart.

Dabei benennt der Staatssekretär sogar Missstände unter Namensnennung. Der Bundesregierung sei bekannt, schreibt er, dass pakistanische Resochin-Tabletten der Firma Bayer „nicht nach den europäischen Anforderungen an die Gute Herstellungspraxis (Good Manufacturing Practice, GMP) hergestellt werden“. Resochin ist der Bayer-Handelsname für den Wirkstoff Chloroquin (https://background.tagesspiegel.de/gesundheit/grosse-verunsicherung-bei-den-patienten). Wegen schwerwiegender Qualitätsmängel am Standort Karachi hatte der Konzern die Produktion vor einem Dreivierteljahr bereits einmal gestoppt. Als das bereits in den 1930er-Jahren entwickelte Medikament zwischenzeitlich als womöglich aussichtsreiche Therapie gegen Covid-19 galt, wurde sie aber wieder hochgefahren. Auch Deutschland bemühte sich um das Mittel.

Auch in Europa 141 Verstöße gegen „Gute Herstellungspraxis“

Neben Qualitätsmängeln und Umweltproblemen monieren Kritiker auch die teilweise haarsträubenden Bedingungen für Arbeitskräfte und Probanden. 2016 verabschiedete die Bundesregierung eigens einen Nationalen Aktionsplan (NAP) zur „Einhaltung von Menschenrechten in globalen Liefer- und Wertschöpfungsketten“ – und schickte den Unternehmen auch einen Fragenkatalog zu ihrem Umgang mit Lieferanten aus Entwicklungs- oder Schwellenländern. Der Gesundheitsstaatssekretär konnte jedoch nicht einmal die schlichte Frage beantworten, wie viele Pharmaunternehmen angeschrieben wurden und geantwortet hätten. Bei dem Monitoring habe man festgelegt, dass Datenauswertung und Erfüllungsbewertung nur „in aggregierter und anonymisierter Form“ vorgelegt würden (https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/themen/aussenwirtschaft/wirtschaft-und-menschenrechte/monitoringnap/2124010), betonte er. Der Bundesregierung sei Näheres folglich nicht bekannt. Die Linken-Politikerin Sylvia Gabelmann mag das kaum glauben. Wenn der Aktionsplan „null Erkenntnisgewinn“ bringe, sei er seinen Namen nicht wert, konstatierte sie.

Allerdings säßen „die schwarzen Schafe nicht nur in Fernost“, so die Linken-Politikerin. Die Überwachungsbehörden auf EU-Ebene berichteten ebenfalls von Verstößen gegen den GMP-Leitfaden. In der europäischen EudraGMDP Datenbank (http://eudragmdp.ema.europa.eu/inspections/displayWelcome.do;jsessionid=Wk1UVJWtVzwnID1yWJF2XAgDUEtGJFO3CAmNIak7HmhWu24maPS!-320587497) seien allein für das vergangene Jahrzehnt „insgesamt 141 GMP-Non-Compliance Berichte“ aufgeführt, heißt es in der Antwort der Bundesregierung.

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